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DIE LOCKDOWN-GOURMETS II – STAYIN‘ MOTIVATED WITH ROCKY AND SALT & SILVER

DIE LOCKDOWN-GOURMETS II – STAYIN‘ MOTIVATED WITH ROCKY AND SALT & SILVER

Fotos: Denise Ster
Food:
Salt & Silver
Foodstyling: Pio
Text: Leonie Kantratowicz



Schwer schnaufend erklimme ich die Stufen im Treppenhaus. Oh, wie schön!, sagten sie. Da bin ich aber neidisch, sagten sie. Was ich sage, hat mich niemand gefragt. Fünfter Stock Altbau ist scheiße. Klar, schön hell und so. 3,50m hohe Decken. Balkon gibts auch, Südseite. Feine Sache – wenn man das Haus nicht verlässt. Jedes zweite, dritte Mal erleide ich auf dem Weg nach oben eine Nahtod-Erfahrung, dabei will ich doch einfach nur nach Hause. Neulich musste ich meinen Mitbewohner von der Treppe kratzen, weil er auf der Hälfte das Bewusstsein verloren hatte. Wenn man sich zum Erreichen der eigenen Wohnung Bergsteiger*innen-Tutorials bei Youtube angucken muss, überlegt man zweimal, ob der Gang zum Supermarkt wirklich noch sein muss (wobei ich für Hummus tatsächlich nahezu alles tun würde). Seit wir hier wohnen, existiert ein hochkomplexes System, ähnlich ausgeklügelt wie die Berliner Luftbrücke. Ein logistischer Masterplan für die Organisation der Nahrungsmittelversorgung dieser Wohngemeinschaft, fixiert auf Diddl-Blättern. Diese Woche ist mein Mitbewohner an der Reihe Kühl- und Trockenschrank zu füllen. Mein Tag war lang, die Fahrt auf dem Rennrad, weil Hamburg so verdammt riesig ist, noch länger und meine Lungenflügel brennen wie nach einer intravenösen Tabasco-Kur. Umso wohliger das Gefühl heute nicht mehr in den Mund-Nasenschutz schlüpfen und Abstands-Parcours im Edeka absolvieren zu müssen.

Als ich erschöpft die Wohnungstür aufschiebe, dampft mir der Geruch schon entgegen. Mein Auge zuckt. Unverkennbar. Es riecht nach [dramatische Kamera-Fahrt auf die zu Schlitzen verengten Augen]Baked Beans. Auf der Stelle lasse ich Tasche und Jacke fallen und rupfe die Küchenschränke auf. Baked Beans. Im Trockenschrank: Baked Beans. Sogar im Kühlschrank stapeln sich die Dosen, was ja mal absolut gar keinen Sinn ergibt, und zu meinem Entsetzen ziehe ich statt der teuren Flasche Rotwein eine Maxi-Packung, ja, was wohl, Baked Beans aus dem Weinregal. Halb blind, weil mittlerweile beide Augen unkontrolliert zucken, stürme ich die home base meines Mitbewohners am Ende des Flurs und strecke ihm mit einem Kampfschrei die Konservendose entgegen. In die olle Wolldecke auf dem Sofa eingezwirbelt sieht er mich aus großen Knopfaugen an. Ein letzter Rest Tomatensauce tropft aus dem üppigen, verzottelten Bart auf die noch ollere Jogginghose.

„Mir ist schon klar, dass dieses Treppenhaus ein Arschloch ist und dir die Lockdown-Monotonie den letzten Funken kulinarischer Ambitionen genommen hat, aber – Baked Beans? Ernsthaft?!“ Mit wildem Blick sehe ich mich um. Leere Konserven, überall. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Backstein. „Du brauchst Hilfe, Jakob.“ – und ich einen ausgewogen gefüllten Kühlschrank, füge ich gedanklich hinzu. „Du kannst dich doch nicht nur aus der Dose ernähren. Du musst doch noch Träume haben.“

Das Häufchen Elend vor mir schüttelt resigniert den Kopf. „Es hat doch alles keinen Sinn. Diese Pandemie nimmt jegliche Lebensfreude. Ich kann nicht mehr, ich armer Wurm. Diese Welt ist schlecht, so schlecht…“ Der Rest verschwindet in seinem Bart und einem leisen Mimimi.

Ich bin müde und habe Hunger, also platzt mir in diesem Moment die Hutschnur. „Weißt du, als ich dich kennengelernt habe, hast du dich von Weißbrot und Bockwurst ernährt. Jahrelang habe ich mich gefragt, was aus dem Jungen einmal werden soll und ob der Sprühkäse jemals aus unserem Schrank verschwinden würde. Doch ich habe die Hoffnung nie aufgegeben und auf einmal war der Moment da, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: Du bist ein Foodie geworden, hast dich prima entwickelt. Das war toll das mit anzusehen – jeder Tag war ein besonderes Geschenk. Die Zeit verging und plötzlich warst du ein Gourmet. Du musstest dich der Welt stellen, die für 2,49 Euro Steaks bei Penny kauft, das hast du getan. Aber irgendwo unterwegs hast du dich verändert. Du hast aufgehört du selbst zu sein. Du lässt es zu, dass man mit dem Finger auf dich zeigt und dir sagt, dass du zu nichts taugst. Und wenn es hart auf hart kommt, willst du die Schuld dafür anderen geben – diesem harten Lockdown.

Ich werd dir jetzt was sagen, das du schon längst weißt. Die Welt besteht nicht nur aus Sonnenschein und Regenbogen. Sie ist oft ein gemeiner und hässlicher Ort und es ist mir egal, wie stark du bist. Sie wird dich in die Quarantäne zwingen und dich zermalmen, wenn du es zulässt. Du und ich – und auch sonst keine*r! – kann so hart zuschlagen wie Corona! Aber der Punkt ist nicht der, wie hart eine*r zuschlagen kann – es zählt bloß, wie viele Schläge er/sie einstecken kann! Und ob er/sie trotzdem weiter kocht! Wie viel man einstecken kann und trotzdem weiter kocht! Nur so gewinnt man. Wenn du weißt, was dein Magen wert ist, dann geh hin und organisier es dir! Aber nur, wenn du bereit bist, die Schläge einzustecken! Aber zeig nicht mit dem Finger auf andere und sag, dass du nicht das isst, was du essen wolltest wegen ihm oder ihr oder sonst einer Katastrophe! Schwächlinge tun das UND DAS BIST DU NICHT! DU BIST BESSER! Und jetzt sei ein Foodpornstar, setz dich an den Computer und bestell ein verdammtes Taco-Kit von Salt & Silver, sonst vergess‘ ich mich!!!!“

… Stille.

„Hast du gerade aus Rocky zitiert?“

„Ich denke, mein Punkt ist klar geworden.“

Am nächsten Tag ist die Küche erfüllt von genüsslicher Stille. Mein Mitbewohner hat sich den Bart gestutzt und trägt ein ordentliches Hemd. Der Teller mit den Tacos vor uns wird leerer und leerer.

„Sollen wir ihm auch etwas geben?“, fragt er und deutet mit dem gekämmten Kopf in Richtung Wohnzimmer. Zustimmend nicke ich. „Ja, wär nett.“ Mit zwei Jackfruit-Tacos und FFP2-Mund-Nasenschutz im Schlepptau gehe ich in das durchlüftete Zimmer (wir sind ein sehr korrekter, Aerosol-freier Haushalt) und auf das Sofa zu. Kaum bei Bewusstsein liegt der völlig erschöpfte UPS-Mann, der uns das Taco-Kit gebracht hat, auf unserem Sofa und murmelt leise in Trance vor sich hin: „Fünfter Stock Altbau ist scheiße.“

Ich tätschel ihm mit einem Staubwedel aus 1,5m-Abstand den Arm. „Ich weiß, mein Freund, ich weiß.“



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